#hieristnochallesmöglich oder Ich habe mich an das Leben in einem Rechteck gewöhnt
Schauspiel

Stückinfo

Ich habe mich an das Leben in einem Rechteck gewöhnt.

Einer der ersten Sätze aus «Hier ist noch alles möglich», dem Roman von Gianna Molinari, der für das Theater Basel Ende März hätte adaptiert werden sollen. Mit Schauspieler_innen auf einer Bühne, mit einem großen, in den Zügen hängenden Objekt, bunten Kostümen und einem Dinosaurier, der ab und zu digital über die Bühne läuft. Aber dann kam alles ganz anders. Und statt der Nachtwächterin in die leere Halle einer Wellkartonfabrikanlage, zog sich ein_e jede_r aus diesem Ensemble in sein jeweiliges Rechteck nach Hause in Basel, Berlin, Bern, Brüssel, Zürich, Dresden und Graz zurück. Und statt das Überleben in einer leeren Fabrikanlage zu erforschen, statt nach einem Wolf und einer Bankräuberin zu fahnden, statt auf dem Boden einer tropischen Insel und eines Flughafens zu erwachen, statt zu verstehen, warum 2010 ein Mensch vom Himmel fiel, sitzt jetzt plötzlich ein_e jede_r zu Hause in seinem eigenen Rechteck vor einem weiteren Rechteck, dem Bildschirm. Häufig auch vor einer Rechteckkonferenz auf Zoom: Lauter kleine Rechtecke sind jetzt da, lauter Menschen in Rechtecken, und das Eintreten und Verweilen in diesen Rechtecken führt dazu, dass manch Gewohntes nochmals ganz anders infrage gestellt wird.

Denn nichts ist mehr sicher, nicht der Boden, auf dem wir stehen, und nicht die Flugzeuge, in die wir steigen, nicht die andere Seite von Grenzen ...

Gianna Molinari: «In ‹Hier ist noch alles möglich› arbeitet die Ich-Erzählerin seit Kurzem als Nachtwächterin in einer Verpackungsfabrik, die bald schliessen wird. Die Fabrik ist noch nicht verlassen und doch nicht mehr Teil der produktiven Welt. Dort baut sich die Ich-Erzählerin Stück für Stück eine neue Welt auf. Diese neue Welt, bestehend aus Clemens, der zweiten Nachtwache, dem Chef, dem Koch und dem Mitarbeiter Lose wird für sie selbst stetig unsicherer: Da ist ein Wolf, der sich angeblich auf dem Gelände herumtreibt und für den sie eine Fallgrube graben muss. Da ist die Geschichte eines afrikanischen Flüchtlings, der aus dem Fahrwerk eines Flugzeugs fiel und tot aufgefunden wurde. Seine Identität bleibt unbekannt. Die Ich-Erzählerin begibt sich auf Spurensuche, macht sich Gedanken darüber, was Grenzen bedeuten und was Identität heisst, woran sie festzumachen ist. Inwiefern ist Identität verhandelbar und je nach Umfeld wandelbar? Für wen sind Grenzen durchlässig und für wen unpassierbar? Und wer entscheidet darüber? Was ist sicher, was ist unsicher, ist sie selbst noch sicher? Grenzen und Grenzüberschreitung, aussen und innen, Sichtbares und Verborgenes, Konstruktion und Definition vermischen sich. Auch verschieben sich immer mehr die Ebenen von Vorgestelltem und Realem. Gibt es den Wolf wirklich, der plötzlich in ihrer Halle auftaucht? Und wer sieht hier was? ‹Hier ist noch alles möglich› ist ein Text über das Wahrnehmen der Welt und der eigenen Person sowie der Verschiebung dieser Wahrnehmung, ein Roman über die Zersetzung des Realen und über Möglichkeitsräume.»

Mit ihrem Debütroman «Hier ist noch alles möglich» gewann die gebürtige Baslerin Gianna Molinari 2017 den 3sat-Preis beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, 2018 war sie nominiert für den Deutschen und den Schweizer Buchpreis und gewann den Robert Walser-Preis in Biel. Mit einer Mischung aus Nüchternheit und Poesie stellt die Autorin mit schwereloser Leichtigkeit die grossen Fragen unserer Zeit: nach dem Fremden und dem Vertrauten, nach Heimat und Identität und nach den Grenzen, die wir um uns ziehen.

 

Künstlerische Leitung

1 Termin

29.05.2020
Premiere: Online
21:00

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