Der Basler Literaturprofessor Walter Muschg erklärte die nahezu vergessene «Schwarze Spinne» 1931 zum «Sinnbild jeder denkbaren Katastrophe» und wies Gotthelfs Novelle einen Ehrenplatz im literarischen Kanon zu. Seitdem wurde und wird ihre Aktualität für die Gegenwart immer wieder reklamiert – aber sind es traditionelle Werte, die beschworen werden müssen, um den eigenen Wohlstand vor dem gefährlichen Fremden zu schützen, oder sind heute gerade Egoismus und Materialismus die Feinde des Gemeinwohls? Gotthelf hat 1841 Motive aus Märchen und Sagen zu einem Stück Schweizer Geschichte verwoben, das vom Mittelalter ins Emmental seiner Zeit führt. Ihm war klar, dass das Werk an die Gottesfürchtigkeit seiner Leser mahnt: Seine Schriften gelten als Hauptwerke des Biedermeier und bemühen sich, ganz anders als die Werke seines Zeitgenossen Büchner, um restaurative Werte. Die radikalen gesellschaftlichen Umbrüche beobachtet auch er genau und bildet die Armut der Landbevölkerung in einer Direktheit ab, die an die Literatur des Naturalismus erinnert.
Dass die Gefahr von aussen kommt, legen Indizien in der Erzählung nahe: Der Ritterorden, der die mittelalterlichen Bauern tyrannisch beherrscht, hat auf den Kreuzzügen heidnische Umgangsformen angenommen und belegt das Dorf mit schier unleistbaren Frondiensten. Und auch die Frau, die zum Wohl und Wehe des Dorfs mit dem Teufel verhandelt, ist keine Hiesige. Doch schon zu Beginn des Dilemmas scheint die kommende Katastrophe unausweichlich – der Verlauf der Handlung hat nur Auswirkungen auf ihre Gestalt. Die schwarze Spinne, die das Dorf pestgleich heimsucht, erscheint als futuristisches Bild der Angst, mit der die Bauern in die Zukunft blicken, und lebt schliesslich ins Holz gebannt weiter.
Wie in der Dorfgesellschaft die Interessen des Kollektivs und Einzelner verhandelt und vertreten werden, untersucht der Regisseur Tilmann Köhler in seiner Adaption für die Bühne und die Jetztzeit. Seine Inszenierungen zeichnen sich durch klare Bilder, grosses literarisches Gespür und einen dezidierten Blick auf die Gegenwart aus. Zurzeit arbeitet er u. a. am Deutschen Theater Berlin, an der Oper Frankfurt, am Düsseldorfer Schauspielhaus und zum ersten Mal am Theater Basel. Nach «Schlafgänger», «Farinet» und «Goldrausch» in den vergangenen beiden Spielzeiten setzen wir mit dieser Arbeit unsere Auseinandersetzung mit Schweizer Prosaliteratur fort.