Aus Angst, den gewohnten Wohlstand zu verlieren, schotten sich die Bürger_innen im reichen und pittoresken Dorf, das Lukas Linder für sein neustes Stück erfindet, konsequent ab. Zudem gaukeln sie allen Neuankömmlingen – und seien es noch so ahnungslose Touristen – den desolaten und verwahrlosten Zustand ihrer Gemeinde vor. Eine bewusste Taktik, um die «Fremden» schon bei der Ankunft freiwillig zur Abreise zu bewegen.
Der in Basel lebende Schweizer Dramatiker Lukas Linder benutzt im Sinne der Basler Dramaturgie Motive des Komödienklassikers «Der Revisor» des russischen Schriftstellers Nikolai Gogol aus dem Jahr 1836, um der Willkommenskultur hierzulande auf den Zahn zu fühlen. Während bei Gogol ein vermeintlicher Wirtschaftsprüfer für Aufregung und Verwirrung sorgt, ist es bei Linder ein Besucher aus der Umgebung, der zufällig mit seinem Tages-GA im beschaulichen Dorf einen Zwischenstopp einlegt. Der Ausflug wird für ihn zum irrwitzigen Trip, welcher das heuchlerische Verhalten der Dorfgemeinschaft auf höchst amüsante Weise aufblättert.
«Fremdes Leid hat einen entscheidenden Makel: Es verdirbt einem die Freude an der eigenen Misere. Zumal in einem Land, wo sich die Menschen nicht von Krieg, sondern von Krankenkassenprämien gepeinigt sehen. In der Schweiz braucht es wenig, um vor dem Nichts zu stehen. Die Armut kommt hier mit dem Wohlstand. Das Geld ist uns im Weg. ‹Schade, kann ich die Rennpferde nicht abschreiben lassen› ist so ein absurder Satz, den man hier öfters hört. Bei Gogol liegen die Karten von Anfang an offen auf dem Tisch. Der Reiz des Stücks liegt weniger in der Handlung als in der Narrenfreiheit, die der Autor seinen Figuren gewährt. Sie entlarven sich selbst, indem sie mit ihrem geschwätzigen Übermut eine Reinheit des Herzens propagieren, während sie gleichzeitig von der Furcht getrieben werden, dass man ihnen auf die Schliche kommt. Ein diffuses schlechtes Gewissen treibt sie in lauter irrationale Aktionen. Als Parabel über die Furcht vor dem Verlust des Status quo scheint mir der ‹Revisor› reizvoll, um über die Schweiz dieser Tage nachzudenken.» Lukas Linder
Cilli Drexel, deren Inszenierungen – insbesondere von Gegenwartsdramatik – zu zahlreichen renommierten Festivals eingeladen wurden, stellt sich mit dieser Arbeit zum ersten Mal dem Basler Publikum vor.