Schlafgänger waren ein historisches Phänomen der Industrialisierung: Arbeiter, die sich kein eigenes Bett leisten konnten, mieteten eine Schlafgelegenheit für einige Stunden am Tag. Die Figuren in Dorothee Elmigers Roman von 2014 sind heutig und haben sehr wohl ein Bett – trotzdem sind sie schlaflos. Sie schauen in die Welt, sehen Nachrichten, Kunstausstellungen und Menschen auf Bahnsteigen, sie lesen Bücher, hören Vorträge und treffen Menschen zum Abendessen. Überall sehen sie Grenzen. Grenzen, die sie meist unbeschadet passieren. Aber was ist mit den anderen Menschen? Jenen, die aus ihrem alltäglichen Weltzusammenhang herausfallen?
Der für den Schweizer Buchpreis nominierte Roman der 1985 in Wetzikon geborenen Autorin erzählt in einem poetischen Stimmengeflecht von Begegnungen mit Fremden und Fremdheit – von real existierenden Flüchtlingen, Geistern aus Literatur, Kunst und Geschichte, genauso wie vom Gefühl einer existenziellen Entfremdung von der Welt und ihrer medial geprägten Wirklichkeit: Ein Logistiker im Basler Hafen geht nicht mehr zur Arbeit, weil sämtliche Schreckensgestalten des Weltgeschehens in seinem Wohnzimmer Platz genommen zu haben scheinen. Eine Schweizer Autorin beobachtet mexikanische Wanderarbeiter in Kalifornien. Eine amerikanische Übersetzerin träumt vom Zusammenbruch der Alpen. Ein Velofahrer stürzt auf der Wettsteinbrücke ...
Elmiger schaut in ihrer Bestandsaufnahme der Gegenwart von der Mitte der Gesellschaft an ihre Ränder, von der Schweiz in die Welt und von heute in die Vergangenheit. Sie führt keine Anklage, sondern gibt dem leise nagenden Gefühl des Unbehagens am eigenen Wohlstand eine Stimme. Die Theateradaption des Romans inszeniert die Hausregisseurin Julia Hölscher.