Ein Liederabend von Tora Augestad, Duri Bischof, Bendix Dethleffsen, Michael von der Heide, Christoph Marthaler, Sarah Schittek, Malte Ubenauf und Nikola Weisse.
Stückinfo
Uraufführung
Es ist ja alles andere als ein Geheimnis, dass es sich bei einer «enharmonischen Verwechslung» um ein kompositorisches Verfahren handelt, mit dessen Hilfe Töne als andere Töne umgedeutet werden, wenn sie in der gleichstufigen Stimmung die gleiche Höhe, jedoch andere Namen (und andere Bedeutungen) haben. Und kaum erwähnt werden muss ebenfalls, dass fast alle Komponisten der vergangenen zwei Jahrhunderte sich dieser einzigartigen Technik bedienten. Aus gutem Grund: Denn könnte es eine Idee von Verwandlung geben, die mehr aus dem Leben gegriffen scheint als diese? Nein! Ohne die immerwährende Anwendung «enharmonischer Verwechslungen» wäre keine menschliche Verbindung denkbar. Kein Ehebündnis, keine heimliche Zweisamkeit, nicht einmal der harmloseste Kuss auf Erden. Und weil das so offensichtlich ist und gleichzeitig so rätselhaft und unerforscht, öffnen Christoph Marthaler und sein Ensemble mit minimalinvasivem Aufwand die äussersten Schichten des universalen Schläfenlappens und blicken auf das Zentrum enharmonischer Entscheidungskraft: Das Areal der Nachtruhe. Aufgeräumt ist es dort. Anmutig dekoriert, wohl temperiert und in sanften Farben tapeziert. Und inmitten dieser Räumlichkeit ragt es schliesslich überdeutlich empor, das weiche und straff gespannte Objekt der Begierde: Die Schlafstätte im King-Size-Format. Hier, wo innigste Zugewandtheit (liebende Vereinigung) und entschiedenste Abwesenheit (REM-Phase) ein siamesisches Zwillingsdasein führen, ereignen sie sich Tag für Tag und Stunde um Stunde: die grossen und heimtückischen Momente zwischenmenschlicher Verwandlung. Und weil mindestens drei Personen notwendig sind, um die Einzelbestandteile von Hingabe, Treueschwur und Seligkeit nachvollziehbar enharmonisch zu verwechseln, werden Tora Augestad und Michael von der Heide von einem geheimnisvollen Herrn namens Dethleffsen begleitet. Im wahrsten Sinne des Wortes.Bleibt zu fragen, warum sich noch eine weitere Dame in diesem Schlafzimmer aufhält? Als sicher gilt, dass ihr Interesse an enharmonischen Verwechslungen gering ist. Sie bewegt sich fast lautlos zwischen allen Stühlen. Alles Weitere bleibt abzuwarten.