Zur Saisoneröffnung wird Lars-Ole Walburg die Räumlichkeiten des Theaters verlassen und mit seinem Ensemble in die benachbarte Elisabethenkirche ziehen, um dort den ersten Teil des wohl bekanntesten Werks der deutschen Klassik zu inszenieren.
Ein ganzes Leben lang hat Goethe an dem bereits im Mittelalter als Volkssage bekannten Stoff gearbeitet. Verhandelt wird das Drama des modernen Menschen, dessen Drang, auch das letzte Geheimnis dem Leben zu entreissen, dessen Sucht, alles vernunftbegabt beherrschen zu wollen und dessen Wunsch, Bleibendes zu schaffen, auf den Zweifel trifft, ob denn die von ihm gesetzten Ziele den rechten Horizont abgeben, an dem sich sein Leben ausrichten soll und darf.
In einer solchen Sinn- und Lebenskrise befindet sich der Gelehrte Doktor Faustus. Gnadenlos rechnet er mit seinem bisherigen Leben ab, das, trotz skrupelloser, abenteuerlustiger Grenzüberschreitungen im Bereich der Wissenschaften und der magischen Künste, nicht dazu verholfen hat, zu erkennen, «was die Welt im Innersten zusammenhält». Er bereitet seinen Selbstmord vor. Vielleicht wird er im Tod die Wahrheit erfahren, die ihm das Leben vorenthält. Doch kurz vor dem Vollzug ertönt das Ostergeläut und ruft ihn in die Gefühlswelt seiner Kindheit zurück. Kurz danach erscheint ihm der gefallene Engel Mephisto. Dieser hat mit Gott eine Wette offen, bei der es als Einsatz um Fausts Seele geht. Mephisto darf mit Gottes Zustimmung Faust in Versuchung führen. Er bietet dem Gelehrten einen Pakt an: er verspricht Faust zu zeigen, «was noch kein Mensch gesehen». Dafür stellt er sich ihm als Knecht zur Verfügung. Sollte es ihm aber gelingen, den Erlebnishungrigen und Wissensdurstigen zu befriedigen und ihm den Wunsch zu entlocken, den Augenblick des Geschehens anzuhalten, verkehrt sich augenblicklich das Verhältnis, und Faust wird Mephistos Untertan.
Die erste Versuchung besteht in einer mit teuflischer Zauberkraft herbeigeführten Liebesbegegnung. Zuvor hatte der Knecht Fausts Wunsch nach Verjüngung erfüllt. Mephistos Plan lässt sich gut an. Doch durch das Liebeserlebnis verstrickt sich Faust in immer grössere Schuldzusammenhänge, bis er schliesslich das von ihm geliebte Mädchen, halb wahnsinnig und zur Kindsmörderin geworden, im Kerker wiederfindet. Sein Angebot, sie mit des Teufels Hilfe zu befreien, schlägt sie aus.
Fausts Reise mit Mephisto durch die grosse und kleine Welt geht weiter. Ende des ersten Teils der Tragödie.
Der Tragödie zweiter Teil, den Goethe erst fünfundzwanzig Jahre später veröffentlichte, folgt nur eine Woche später in der Inszenierung von Matthias Günther und dem international renommierten Musikduo «Stimmhorn» auf der Kleinen Bühne. Es wird die Gelegenheit geben, diese beiden eigenständigen Theaterabende an einzelnen Tagen auch im Zusammenhang zu sehen.