Kirchenkantaten von Johann Sebastian Bach in szenischer Einrichtung
Stückinfo
Welt, ade! Ich bin dein müde, Ich will nach dem Himmel zu, Da wird sein der rechte Friede Und die ewge, stolze Ruh. Welt, bei dir ist Krieg und Streit, Nichts denn lauter Eitelkeit, In dem Himmel allezeit Friede, Freud‘ und Seligkeit. Choral aus „Wer weiss, wie nahe mir mein Ende“ (BWV 27) Wenn wir Moral begreifen als den Preis moderner Freiheit, sie verstehen als die Zumutung, für sich einzustehen und zugleich Moral begreifen als das Recht, andere an diese Zumutung – an ihre Pflicht zur Verantwortung – zu erinnern, dann beginnt das neue (Opern-)Jahrhundert wie das alte endete. Nach „Wie liegt die Stadt so wüste, die voll Volkes war“, Herbert Wernickes Szenen zu geistlicher Musik von Heinrich Schütz und Matthias Weckmann, ist auch dessen neue Unternehmung, Kantaten von Johann Sebastian Bach szenisch zu erarbeiten, ein Opern-Theater, das sich als moralische Anstalt versteht. Die Schütz-Szenen zeigten auf die Wunde aller zeitgenössischen Kunst: sie kann Entsetzliches, Schockierendes nicht darstellen ohne zu ästhetisieren. Aber die Aufführung zeigte auch, dass es entscheidend darauf ankommt, „ob sie sich dabei verhält wie die Schminke zur Haut oder wie der Balsam zur Wunde“ (Christoph Türcke). Wo eine alte christliche Tugend, nämlich die der Caritas, gleichsam ins Ästhetische übersetzt wird, da kann die Gestaltung des Elends Schönheit bergen. Das Geheimnis der Schönheit und der Tiefe Bach’schen Komponierens findet hierin vielleicht eine Erklärung. Seit fast 300 Jahren zieht seine Musik in ihren Bann. Bachs Kantaten, Messen, Passionen sind zum Leidschatz der Menschheit geronnen, sind zu einer anthropologischen Erzählung geworden über die Schrecken der Verlassenheit, über das Elend der Endlichkeit, über den Terror des Glaubens. „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“ (BWV 26), „Sieh zu, dass deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei“ (BWV 179), „Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe“ (BWV 25) und „Wer weiss, wie nahe mir mein Ende“ (BWV 27) sind einige der Kantaten, die Herbert Wernicke für seinen Theaterabend über das Thema der Nichtigkeit, des Scheins und der Lüge im moralischen Sinn zusammengestellt hat.