Von Herbert Wernicke
Szenen zu geistlicher Musik von Heinrich Schütz & Matthias Weckmann
Stückinfo
Zu feiern gibt es nichts, wenn dieses Jahrhundert (Gottlob!) zuende geht. Es wurde kürzlich das Jahrhundert eines zweiten Dreissigjährigen Krieges genannt. Nicht zu Unrecht, gedenkt man der apokalyptischen Visionen und deren grausiger Umsetzung, die in ihrer Brutalität und Konsequenz an die des 17. Jahrhunderts erinnern. Ein Musiker hat sich in der Zeit der ersten deutschen Urkatastrophe 1618-1648 gegen jegliche Barbarei gewendet und mit seiner Kunst (wenn auch unter Qualen) Einspruch erhoben – ein Widersacher und Gegenüber zu all den Wallensteins, Tillys und Gustav Adolfs: Heinrich Schütz, die prägende Gestalt der deutschen musikalischen Kultur im Siebzehnten Jahrhundert und ihr Bewahrer über die Verwüstungen des Dreissigjährigen Krieges hinaus. Schüler Giovanni Gabrielis, Bewunderer Claudio Monteverdis, hat er ihre Lobgesänge auf Irdisches und Himmlisches im "redenden Stylus" umgeschmolzen in Trauergesänge in betrüblichen Zeiten. Mit Lobgesang und Beschwörung beginnt alle Kunst und sie endet in der Klage, die in Heinrich Schütz dröhnt, wenn ein donnerndes Gewitter des vierzehnstimmigen Chores anhebt mit dem richtenden Ruf: "Saul, Saul was verfolgst du mich? Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken!" Die Würde des Menschen war ihm die Ehre Gottes. Verloren sind, verbrannt die grossen dramatischen Bühnenwerke des Kursächsischen Hofkapellmeisters Heinrich Schütz. Deren Dramatik, ja Theatralik sind geretttet und aufgehoben in dessen geistlicher Musik, in den "Symphoniae Sacrae", in den "Musikalischen Exequien", in den gewaltigen "Psalmen Davids". Herbert Wernickes Spürsinn für die Zeichen der Zeiten legt am Ende dieses bedenklich "unnützen Jahrhunderts" (Alain Finkielkraut) Korrespondenzen offen, die die Zeitläufte Heinrich Schütz' zur Jetztzeit werden lassen. Der Bogen der inszenierten Kompositionen spannt sich von "Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehöret" über "Saul, Saul, was verfolgst du mich" und "Fili mi Absalom" bis zu des Schütz-Schülers Matthias Weckmann titelgebender Kantate "Wie liegt die Stadt so wüste –". Schon einmal hat Herbert Wernicke den biblischen Glaubenskampf als politisch-moralische Stellungnahme eines Komponisten verdeutlicht, als er das Märtyrerdrama der "Theodora" als Händels "Intolleranza" aufführte. Hier nun ist es ein Zeitsprung über fast vier Jahrhunderte, der die Visionen und düsteren Bekenntnisse von Heinrich Schütz zum theatralischen Abgesang auf das XX. Jahrhundert werden lässt. Denn zu feiern gibt es nichts ...