Ein Stück über die Oper von Christoph Marthaler und Jürg Henneberger
Stückinfo
Eingeladen zum Berliner Theatertreffen 1998
Motto: Wenn nun das Jahr 2000 kommt, gehen wir auf ein Jahrtausend der Einsamkeit zu. Je näher sich die Menschen kommen, desto einsamer werden sie. Christoph Marthaler
Christoph Marthalers Abend über die Oper, den er zusammen mit Jürg Henneberger im Herbst 1997 am Theater Basel erarbeitete, wurde so etwas wie eine theatralisch ausgearbeitete Kritik am Musikbetrieb. Der künstlerische Erfolg wurde bestätigt durch die Einladung zum Berliner Theatertreffen, am 1. und 2. Mai 1998 zeigte das Theater Basel die Aufführung in Berlin. Erstmals war damit eine Opernproduktion zum Theatertreffen eingeladen.
Renate Klett schrieb über den Abend: "Kunst-Klassik-Spass" – wer kennt sie nicht, die Frischwärts-Moderatoren mit der penetrant guten Laune und der debilen Munterkeit. Die Radio- und Fernsehsendungen, die sie betreuen, machen klassische Musik populär, indem sie sie kaputt machen: nur die schönsten Stellen dürfen es sein und auch die nicht mal ganz – nur was sich mitsummen lässt, ist Kulturgut. Darüber zu lästern, ist leicht – schliesslich sind wir alle gegen Classic-Radio -, aber wenn jemand wie Christoph Marthaler es tut, dann begnügt er sich nicht mit ein paar wohlfeilen Lachern. Seine Aufführung ist eine Kriegserklärung an die Musikindustrie und eine Liebeserklärung an die Musik, marthalerisch sanft, lächelnd und unerbittlich. Das "Wunschkonzert", per Leuchtschrift in die Sprachen der Welt übersetzt, reicht von Wagner bis "Cats", und es beweist, dass Kunst vielleicht von Können kommt, ganz sicher aber von Kaufen. Die Situation spitzt sich zu: die Musikhäppchen werden kürzer, die Bewegungen fahriger, die Slapsticks heftiger, bis von irgendwoher, aus dem Dies- oder Jenseits, eine leise, trancehaft schöne Musik erklingt. Man lauscht, man staunt, und dann ist Pause. Der zweite Teil beginnt wieder mit Charles Ives' "The Unanswered Question", seine Trompetenstösse jagen die Lemuren von der Bühne, bereiten den Weg für den triumphalen Schluss: György Kurtágs Lieder-Zyklus "Botschaften des verstorbenen Fräulein R. V. Trussova". Das hochexpressive Monodrama der verlassenen Frau wird hier mit der szenischen Grundsituation einer Serviererin nach Kneipenschluss konfrontiert. Aus dem aberwitzigen Kontrast von grossem Pathos und noch grösserer Banalität erkämpft die phänomenale Sängerin Rosemary Hardy der Musik und aller Kunst die Würde zurück. Nach all dem Belcantoschmalz und Melodienschrott hört man neu und anders und empfindet Kurtágs Musik als Offenbarung. Es ist ein genialer Trick, mit dem Marthaler die Ernsthaftigkeit aus dem Klamauk herausschält, die Reinheit aus der Verkommenheit und den Schmerz aus der Zote."
Die letzte Aufführung von "The Unanswered Question" fand am 1. Tag des neuen Jahrtausends statt.