Jeder hat auf seine Weise eine besitzergreifende Mutter im mentalen Gepäck - diese Entdeckung müssen die Hauptfiguren in Tomeos Roman machen. Es ist das komische Und unheimliche Gespräch zweier scheinbar sehr verschiedener Personen und der Bericht über einen merkwürdigen Befreiungsversuch. Während sich vor den Fenstern des Personalbüros einer grossstädtischen Bank ein Unwetter zusammenbraut, findet drinnen ein verbissener, mit vollendeter Höflichkeit ausgefochtener Kampf zweier Söhne statt — ein spanisches Kammerspiel, hinter dessen Kulissen sich vernehmlich die Monster räuspern.
KRUGGER: Ich würdige Ihren festen Entschluss zu arbeiten, doch kann ich nicht umhin, die Leiden dieser grossartigen Frau in Rechnung zu stellen. Ich habe, ohne genau zu wissen weshalb, den Eindruck, dass Ihre Mutter eine Frau von aristokratischer Gesinnung sein muss, eine von diesen Damen, die es heute kaum noch gibt, mit goldblondem Haar, das sie zu einem grossen Knoten geschlungen trägt, leicht auseinanderstehenden Augen und einem blauen Blick, der immer von oben herab zu kommen scheint.
JUAN D.: Ganz und gar nicht, Sie irren sich völlig. Meine Mutter hat schwarzes Haar und schwarze Augen und lässt sich Dauerwellen machen, um jünger auszusehen. Vielleicht interessiert Sie auch die Einzelheit, dass sie um die hundert Kilo wiegen dürfte.
Javier Tomeo wurde 1932 in Quicena (Aragon) geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und Kriminologie in Barcelona, wo er heute noch lebt. Sein Roman «Mütter und Söhne» erschien 1985 unter dem Titel «Amado Monstruo», 1986 in deutscher Sprache und wurde 1990 von Felix Prader für die Bühne eingerichtet.