Norbert Schwienteks Nathan ist wohl weise, vor allem aber ist er ein Mann, der das Überleben hat lernen müssen, aber zu leben dabei nicht verlernt hat. Aus solcher Kunst erwächst ihm Güte. Als er vor Saladin sitzt, wird ihm der Hemdkragen eng. Die Sitzfläche seines Stuhls ist schräg und abschüssig; Nathan muss um Haltung ringen. Die Ring-Parabel beginnt Norbert Schwientek schnell, beinahe atemlos. Sie ist bei ihm nicht das hehre Lehrgedicht eines jüdischen Weisen. Noch weniger ist sie die geschliffene Rede eines aufgeklärten Kosmopoliten. Sie ist der rettende Geistesblitz eines Mannes in Not. Wieler und Schwientek verzichten auf Schläfenlocken oder ähnliche äussere Attribute des Jüdischen und setzen dennoch eine Kette von beklemmenden Assoziationen beim Zuschauer in Gang. Sie zeigen den von der Macht bedrohten Geist in seiner überlebensfähigsten Form: als Lebensklugheit. So scheint die Weisheit des Juden Nathan von jener Art, die oft teuer erkauft und nur selten aus Büchern zu haben ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung