Nach seinem Welterfolg, dem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Drama «Eine Familie», das in der Saison 2009/2010 am Theater Basel Premiere hatte, zeichnet der amerikanische Gegenwartsdramatiker und Schauspieler Tracy Letts (Serienfans bekannt als CIA-Chef Lockhart in der US-Serie «Homeland») in seinem neuen, epischen Stück das bewegte Leben einer Frau, seiner Protagonistin Mary Page Marlowe: Vom Säugling und Kleinkind, von den Jugendjahren in den 1950er- und 1960er-Jahren, von Familiengründung, beruflicher Verwirklichung, den vertanen oder geglückten ersten und zweiten Chancen, von Krise und Neuaufbruch bis in den Lebensherbst der fast 70-Jährigen heute. Aus Hoffnungsmomenten, Wendepunkten und Erinnerungsbruchstücken seiner Hauptfigur webt Tracy Letts ein zartes, berührendes biografisches Geflecht, das das menschliche Leben in seiner poetischen Fragilität, Wechselhaftigkeit und Alltäglichkeit würdigt.
Zwischen den Zukunftsträumen der 19-jährigen Mary und den Lebenswirklichkeiten der 36- oder 50-jährigen klaffen im Rückblick scheinbar unüberbrückbare, schmerzhafte und verblüffende Lücken. Doch gerade in diesen Zwischenräumen geschieht das Leben mit all seinen Niederlagen, Aufbrüchen, Momenten von Glück und Schuld, Verantwortung, Resignation und Versöhnung. Dem Dramatiker Letts gelingt es auf erstaunliche Weise, aus den erzählten Episoden und den weitaus grösseren Leerstellen dazwischen das Bild eines ganzen Lebens erscheinen zu lassen, bis einem seine Mary Page Marlowe ans Herz gewachsen ist.
Letts’ berührendes Schauspiel hält den gesellschaftlichen Normen der Gegenwart, was geglücktes oder missglücktes Leben, was Erfolg oder Misserfolg, Erfüllung oder Scheitern sei, ein zartes, widerständiges anderes Bild entgegen: Jedes Leben, eines jeden Menschen, ist tragisch und besonders zugleich, wenn man nur genau genug hinsieht oder zuhört – in aller Brüchigkeit und auch im Fragment und Nichterfüllten. Wie Mary Page Marlowe in der Wäscherei über eine alte, textile Decke sagt: «Sie ist brüchig. Aber sie ist noch ganz.»