Jonathan Littells fiktive Autobiografie des SS-Offiziers Maximilian Aue brach 2006 ein Tabu der Aufarbeitung des Nationalsozialismus: Ein jüdischer Schriftsteller taucht in die Psyche eines Täters ein und macht ihn zum Helden eines monumentalen Epos, in dem die Grenzen zwischen Historie und Literatur verschwimmen. «Alles stimmt. Die Namen der Leute, die Orte», konstatierte Claude Lanzmann, als «Shoah»-Regisseur wohl die gewichtigste Stimme der Befragung einer künstlerischen Annäherung an den Holocaust, und betonte gleichzeitig, dass es einen SS-Mann wie Aue nie gegeben habe. Gerade für Zeitzeugen wie Lanzmann ist die literarische Perspektive des nachgeborenen Autors höchst streitbar: Der Roman kombiniert Tatsachenberichte mit Elementen des Krimis und antiken Mythen. Littell beschreibt einen NS-Bürokraten, der von seinen ganz persönlichen Rachegeistern durch die Geschichte gejagt wird und sein Handeln permanent intellektuell zu rechtfertigen sucht.
«Die Wohlgesinnten» entstammen dem dritten und letzten Teil der ältesten Tragödie der europäischen Literaturgeschichte, der «Orestie» des Aischylos, in dem die einst rasenden Rachegöttinnen letztendlich zu den besänftigten, wohlgesinnten Eumeniden werden und ihren Platz in der neuen Weltordnung finden. Littell stellt so die unvergleichlichen Verbrechen der NS-Diktatur in den Kontext des ewigen mythischen Ringens um Definitionen von Recht und Unrecht. Dafür wurde er ebenso angeprangert wie mit den wichtigsten französischen Literaturpreisen geehrt.
Der italienische Regisseur Antonio Latella, der mit seiner Compagnia «Stabilemobile» sowohl inner- als auch ausserhalb Italiens Erfolge feiert, verdichtet die epischen Tableaus des Romans in seiner Theateradaption zu einem musikalischen Kammerspiel. Er erfindet eine ganz eigene, puristische Bildsprache und konzentriert das Figurenpanorama des Romans auf drei Schauspieler und einen Sänger.